Der großartige Wahn einer kleinkarierten Frau an einem Ort voll Glanz, Gewalt und blauer Kacheln




Stimmen der Presse

Nürnberger Nachrichten Abendzeitung Plärrer




Plärrer - Mai 2003
Die Kachelzählerin
Film-Premiere in der Blauen Nacht


Man kennt ihn als Mann hinter der Schießbude: H.G. Brodmann, Drummer und Perkussionist bei „Cabaza”. Umso verblüffender sein Einstand als Filmemacher: Zur Blauen Nacht präsentiert er im Germanischen Nationalmuseuem die Premiere seines semiprofessionell produzierten Spielfilms „Die Kachelzählerin”. Jochen Schmoldt hat den Film am Schneidetisch gesehen.

Es beginnt im Wald. Nackte Füße über Pfützen, Moos und Fauna - eine Frau auf der Flucht, keuchend. Dann, als hätte sie ihren Schutzpol erreicht, steht sie in der Stadt, einen Koffer in der Hand. Die Frau sieht aus wie eine Kommissarin aus dem Osten: strenges Schnittmusterkostüm, starre Miene. Die Frau gibt in einer Pizzeria einen Dauerauftrag auf, anschließend betritt sie den zentralen Tatort: ein leeres Bad, Kachelwände. Dort vollzieht sie vertraut wirkende Rituale: Sie Packte den Koffer aus - Melittafilter, Bügeleisen, Zahnbürste. Sie bügelt, filtert, zählt Kacheln, Zeremonien manischer Einsamkeit, nur unterbrochen durch die Außenwelt, wenn der Pizzamann kommt, Die Frau lebt in einer aseptischen Unter-Welt, fernab von allen Menschenwelten, wo sie dennoch von unsichtbaren Geistern alptraumartig verfolgt wird, aber auch von zwanghaften erotischen Visionen.

HG Brodmann, der im ehemaligen Volksbad am Plärrer Übungsräume gefunden hat, ließ sich durch den Genius loci zu diesem Film inspirieren: die monströsen, veralteten Heizmaschinen, die leer stehenden Bassins mit den Spurenelementen einstigen Badelebens, eine Welt für sich, Brodmanns Gegen-Entwurf: diese ganz spezielle Aura in einen Spielfilm mit minimalistischer Handlung zu verwandeln. Als Idealbesetzung erwies sich die Schauspierelin Marina Schütz, die die nachdrückliche Studie eines Zwangscharakters zustande bringt. Der Film wurde jenseits vom Amateurstatus unter professionellen Bedingungen gedreht: seien es Licht oder Kamera, selbst Catering (Buletten, Stampkartoffeln) für das nicht eben kleine Arbeitsteam. In zehn Drehtagen wurde das Bildmaterial eingespielt, dann bewies Brodmann am Schneidetisch monatelange, manische Ausdauer: „So pfuschfrei wie möglich” sollte sein 70-Minuten-Opus werden. Und das ist im wahrlich gelungen. Mit eigener Musik, Kompositionen von Frank Möbus sowie einer überzeugenden Tondramaturgie entstand ein Phantasie anregendes, assoziatives Melodram, in einen raffinierten Bilderrhythmus umgesetzt:
„Die Kachelzählerin”.

Jochen Schmoldt